Einführender Vortrag von Prof.Dr.Peter Assmann, Direktor des Oberösterreichischen Landesmuseums Linz zur Ausstellungseröffnung am 21.11.99, ,, Heads", Skulpturen von Blanka Wilchfort Kairos New Art Gallery, München

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
zunächst möchte ich mich bei den Ausstellungsverantwortlichen sehr herzlich für die. Einladung, hier vor Ihnen zu sprechen bedanken. 

Ich bin dieser Einladung sehr
gerne gefolgt, weil ich in den skulpturalen Werken von Blanka Wilchfort eine höchst
konzentrierte und zugleich breit anregende künstlerische Position formuliert sehe.


Materialien und auch die Themenstellungen der Werke der Künstlerin sind hier
allerdings zunächst nicht unbedingt das neue anregende Element.

Die Anwendung
von Keramik und partiell auch von Metall, beziehungsweise die konzentrierte
Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, speziell mit dem obersten
Körperteil, dem Kopf, verweisen vielmehr auf Jahrtausende alte Kulturphänomene
des Menschen, auf eine bewußt gesuchte Verbindung auch zu archaischen
Wirkungsformen und Wirkungskräften.

Hinter den Worten, 1993 37 x 18 x 18 cm, Steinzeug, Glasur, Oxyde
Einengung IV 1999, 35 x 35 x 15 cm, Steinzeug, Oxyde, Engobe, Glasur, Stahlschrauben

Der Zugang der Künstlerin zu dieser Archai ist jedoch kein replizierender, sondern ein absolut aktualisierter, allerdings auf der Basis eines immensen Respektes vor den zeitlich so lang andauernden Wirkungskräften einer solchen Gestaltung, die sich in ihrer zeitlichen Orientierung auf primäre Formelemente grundsätzlich ja jeder Zeitmessung entzieht und auf eine
Zustandserfahrung jenseits physikalischer Einheiten und Tabellen sieht.

Die Verwendung von Keramik in der bewußt zerstörten, – bitte in Anführungszeichen
– ,,erdnah'“ formulierten Oberfläche, assoziiert sofort die Verbindung zum
urzeitlichen Tongefäß, einem, letzten Endes Sammlungsbehälter, der vor allem als Nahrungsspeicher dient.

Zieht man hier wieder die Verbindung zur gewählten Form des Kopfes dieser Skulpturen von Blanka Wilchfort, so öffnet sich bereits ein weites
Feld von Assoziationen:

der Speicher wird zur Erinnerung, der Kopf zum Behältnis eines Gedanken- und Empfindungsspeichers, der seine Erfahrungen dem Material gleichsam ,,einschreibt“ , also verinnerlicht. Material und Form schaffen somit die
Verbindung zur ,,Er-innerung ,, – einer Erinnerung jedoch, die absolut gefährdet
erscheint und geschützt werden muß.

Die Fragilität der keramischen Formen erhält in diesem Sinne bewußt gesetzte – unter Anführungszeichen bitte wiederum -,,Gegenzeichen“ in den zugefügten Materialelementen, in erster Linie von den Metallplatten und Metallbändern, die, wie eine Mischung aus, zum einen,
Schutzpanzer und (zum anderen) heilender, beziehungsweise stützender Bandage die keramische Kopfform partiell ummanteln.

Einengung III 1999, 36 x 25 x 10 cm, Steinzeug, Oxide, Engobe, Glasur
Einengung 1993, 16 x 4 x 16 cm Steinzeug, Glasur, Stahlnägel,

Wir sind in einem Raum, wo wir dies anhand dieser beiden Beispiele, (der Redner zeigt auf die Exponate ,,Einengung III“ und ,,Einengung V“ neben sich ) glaube ich, sehr gut direkt nachvollziehen können.

Oftmals scheint der keramische Körper gleichsam in einer Metallschale zu sitzen,
die solchermaßen zur schützenden Basis aber auch zur definierenden Kraft der
fragilen Keramikform wird.

Es ist aber kein gewaltsames definierendes Formgeben, das hier vorgestellt wird, sondern mehr die Präsentation eines symbiotischen Kraft-
und Energieaustausches, wo sich unterschiedliche Materialqualitäten im offenen, das heißt nicht auf Abgrenzung bedachten Austausch begegnen.

Bei aller Deutlichkeit jener Spuren der Metallform, die den konstruierenden Gestaltungsgeist des menschlichen Verstandes nicht verleugnen, ist doch, sowohl in der formalen Ausdehnung des keramischen, wie auch des metallischen Materials, die prinzipielle
Orientierung an Wachstumskräften einer allumfassenden Natur erkennbar.

 

Die Skulpturen erscheinen in direkter Verbindung mit dieser prinzipiellen
Wachstumsenergie formuliert worden zu sein und vermitteln in diesem Sinne ein
souveränes Umgehen mit unterschiedlichsten Gestaltwerdungsenergien.

Die diesbezügliche Schöpfungskraft des Menschen ist hier immer wieder relativiert, in Hinblick auf übergeordnete Gestaltungskräfte.

So wie sich Keramik und Metall
zwar in ihrer jeweils autochtonen Präsenz deutlich vorstellen, so sehr sind sie aber
auch in ihrer Orientierung auf gemeinsam übergeordnete Wirkungskräfte
verbunden.

 

Verkabelter 1993, 37 x 18 x 18 Steinzeug, Glasur, Metalldraht
Kopf mit Öffnung 1999, 33 x 35 x 15 cm Steinzeug Glasur,

 

Ähnliches gilt dann auch wiederum für den Dialog zwischen intellektuell
ordnenden und emotional fließenden menschlichen Gestaltungskräften in diesen Skulpturen und den ihnen wiederum übergeordneten, die Zeitspanne eines Menschenlebens weit übersteigenden Wachstumskräften von Natur insgesamt.

Als ein weiteres Element, das mir sehr wichtig erscheint, das also über die genannte Aspekte hinausgeht, möchte ich auf die konsequente Betitelung der Skulpturen hinweisen. Diese sprachlichen Formulierungen vermitteln allerdings, bei all ihrer Prägnanz, nicht so sehr das illustrative Ziel der Materialform des Kunstwerks, sondern stellen mehr eine poetische Ergänzung auf einer anderen zusammenfassenden Erfahrungsebene vor.

Sie stehen für den weiteren Schritt
einer aktuellen kulturellen Einbindung der Körperform in die Erfahrungswelt unserer Gegenwart und unseres gegenwärtigen Denkens.

Im größeren kunsthistorischen Kontext betrachtet, erscheinen Blanka Wilchforts Skulpturkörper sehr genau diese, sich immer mehr steigernde, allwachsende gegenwärtige Infragestellung des Körperlichen insgesamt zu bearbeiten.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Skulptur ja zu einer von allen Kunstbereichen sehr an den Rand gedrängten Kunstform entwickelt.

Maske III 1993, 7 x 8 x 17cm Terrakotta, Ascheglasur
Fächerkopf 1984, 21 x 14,5. x 8,5cm Terrakotta, Glasur

Die jüngsten Tendenzen in der Gentechnikforschung tun ihr übriges, um die Erfahrung eines Körpers von der massiven, langandauernden Präsenz seiner Form, zu einem immer kürzerwerdenden Veränderbarkeits- und vor allem Machbarkeitszustand umzugestalten.

Blanka Wilchforts Skulpturen reagieren hier, indem sie sehr genau die Balance zwischen einer markant bestimmten Verbindung mit archaischen Erfahrungswelten sowie den aktuell fragenden, intellektuell gleichsam lauernden Bestimmungsmechanismen des Menschen aufbauen.

Diese sehr gut ausgearbeitete Balance ermöglicht ein höchst spannendes, breit gefächertes Zugehen auf diese ihre Skulpturen, die sich als Körper absolut kraftvoll gegen jede Infragestellung des Körperlichen zur Wehr setzen können.

Diese umfassende Balance zwischen bestimmender Formgestaltung und Verbindung zu prozessualen Wachstumskräften markiert ein starkes und zugleich sehr sensibles ,,Position Beziehen“ zeitgenössischer Skulptur.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit