Franz Joseph van der Grinten,, Kunsthistoriker, Schloß Moyland

Was wächst, baut sich auf; was gebaut wird, folgt den Gesetzen seines Wachstums
und erfüllt sich darin, daß sich sein Geist in seiner Erscheinung verwirklicht. 

Er ist es, der den Formtrieb weckt, in Gang setzt und lenkt. In ihm sind Ziel und Ursprung eins. 

Einen Gedanken zu einem Körper werden zu lassen, gibt es der Wege viele:

Fügen, Treiben, Walken; Abspalten und Antragen, den Guß und den Brand. 

Das Ergebnis allemal die Summe, sei sie durch Minderung oder Mehrung, Reduktion oder Addition oder ein Kompositum zustande gekommen.

 

Und die Bande an meinem Herzen 1989, 21 x 35 x 21 cm, Steinnzeug, Glasur, Engobe
Schneckenkopf
Schneckenkopf , 1992, 20 x 26 x 18 cm, Steinzeug, Glasur

Das Sichtbare gibt das, was in ihm west, ganz, und es ist das aus dem Urteil und Beschluß dessen, der es schafft, definitiv Gegebene, aus welchem es wirkt.

Die Formung in Ton, dem gekneteten, geschmeidig gemachten, der Hand sich anpassenden, ist auch heute eine archaische.

Den ersten Versuchen des Menschen, sich ein Gefäß herzurichten und sich ein Idol zu schaffen und ihnen durch Härtung Dauer zu geben, sind die heutigen Befaßtheiten mit dieser Materie nicht so fern:

Die ersten überkommenen Zeugnisse waren die frühesten Vollkommenheiten, auch darin, daß sie die Kraft innehatten, sich zu erhalten, und übers Vollkommene hinaus führt der Weg nicht
linear weiter, sondern fruchtbar ins allseits sich Breitende.

Und auch das ist geblieben, daß Gefäß und Gestalt, das Behältnis und der Leib als Körper, einanderentsprechen.

Alles Gerät ist die Verlängerung der Organe, denen es dienen soll, in Analogie ist es anthropomorph, und der Mensch, der es ins Auge faßt, erkennt in ihm sich selbst.

Blanka Wilchfort steht in diesem Erbe und ist sich dessen bewußt. Was auf der überkommenen Erfahrung basiert erschöpft sich nicht, es bedarf keiner Sprünge ins Artfremde, und derart persönlich angegangen versagt es sich dem Seriellen. 

Etwas erneut machen ist etwas Neues machen, wenn denn jede der Unternehmungen ein Erlebnis ist.

 

Durchbruch, 1990, 24 × 20 x 33 cm, Steinzeug, Glasur, Stahlnägel,
Öffnung II 1993 40 x 20 x 14 cm Steinzeug, Kupferblech

Was so einzeln und so von Hand geformt wird, bleibt ein Abenteuer, bis es fertig ist, und der Blick in den Ofen, nachdem der Brand
vollzogen ist, mag spannend bleiben jedesmal. Ungewißheit und Wagnis, mögen sie aller Kunst immanent sein, hier sind sie auch in der Prozedur gegenwärtig.

Die Künstlerin formt den Körper als gefäßhafte Hohlform.

Er hat Haut, ist empfindsam, scheint atmend und durchpulst.

Er hat eine Farbe, die von Offenheit in Dichte, von Helligkeit ins Dunkle überleitet ,wie die dessen, was lebt, changiert.

Jedes der Gebilde ist ein organhaftes, dem Wachstum sich dankendes, in seiner Geschlossenheit lebensfähiges. Köpfe nicht Torsi, sondern je ein Ganzes selbst.

 

Sind Geräte ins Funktionale übersetzte Körperteile, so scheint es, als ob im figuralen Werk von Blanka Wilchfort dieser Schritt rückgängig gemacht würde aus dienstbarer Abstraktion in ein zweckfrei naturhaftes Eigenleben.

Was dazu beiträgt, ist die hohe plastische Qualität, die Stimmigkeit auch in der Eigenart, die Spannung des Volumens wie die Sensibilität der Oberflächenstruktur und das Gespür fürs Staturarische, das den Dingen, unabhängig von den eher verhaltenen äußeren Maßen, Größe verleiht.

Diese verdankt sich aber auch dem Ernst, dem sie
anheimgegeben sind.

Nicht arkadisch, nicht unbeschwert, erscheinen sie vielmehr
rätsel- und schicksalhaft über dem Lot archetypischer Tiefen und darin wie alles Symbolische, ambivalent.

Trau Dich. 2003, 23 x 27 x 13 cm Steinzeug, Eisen, Engobe,Glasur
Verführung 1993, 32 x 16 x 25 cm, Steinzeug, Oxyde,Glasur

Ist die Bandage Fesselung, ist sie Schutz?

Zahlreich sind die Köpfe; jeder einzeln ein Träger dessen, was ihm widerfährt; und wenn die Künstlerin in ihnen das Phallische gegeben sieht so ist hier die Verkörperung der Lebenskraft vielerlei Gefährdung ausgesetzt: vernagelt und entwurzelt, verwundet und verbunden, beladen, eingeengt und befreit, verschlossen und sich auffächernd
dem Gesetz unterworfen und dem Drang des Herzens gemäß die Bande
sprengend.

Aber ebenso mag, aus derselben Grundform erwachsend, das Vaginale
ins Spiel kommen, das Antlitz dem Schoß sich anverwandeln, der sich öffnet und entfaltet.

Das Körperliche in seinen Verfangenheiten.

Manchmal die pralle Form überlappt, öfter mit Bändern umwickelt, manchmal eine Fuge mit einem knittrigen Tuch ausgefüllt.

Als einzige Fremdbestandteile sind hier und da Nägel und Drähte
im Spiel, von Spuren ihres Vorlebens gezeichnet. Und unterschiedliche Färbung mag den Ausdruck klären, indem sie Teile desnZusammengefügten vergegenständlicht.

Wo Öffnungen und Durchbrüche die Dunkelheit aus dem Inneren herauslassen, geben sie der Prallheit des Körperlichen nur eine zusätzliche Dimension.

 

Im Verborgenen 1999, 32 x 35 x 13 cm, Steinzeug Engobe, Glasur
Mit voller Kraft voraus 2003, 19 x 38 x 15 cm, Steinzeug, Engobe, Glasur

Die Bildwerke stehen oder liegen. Manchmal scheint ihnen der Hals
den natürlichen Sockel zu geben, manchmal ersteht ihnen eine Stütze, manchmal entwachsen sie einem kubischen Block.

Wenn sie aber liegen, dann nicht maskenhaft flach sondern aufruhend auf der ungewissen Balance des Hinterhaupts.

Eine auch in Passivität kraftvolle Präsenz, Zeugnisse der Kraft, die
der Künstlerin in Sensibilität und Nachdenklichkeit eignet. Was da ist, gibt Zeugnis und Beispiel.


Verfasser: Franz Joseph van der Grinten, Kunsthistorik