Franz Joseph van der Grinten,, Kunsthistoriker, Schloß Moyland
Was wächst, baut sich auf; was gebaut wird, folgt den Gesetzen seines Wachstums und erfüllt sich darin, dass sich sein Geist in seiner Erscheinung verwirklicht. Er ist es, der den Formtrieb weckt, in Gang setzt und lenkt. In ihm sind Ziel und Ursprung eins. Einen Gedanken zu einem Körper werden zu lassen, gibt es der Wege viele: Fügen, Treiben, Walken; Abspalten und Antragen, den Guss und den Brand. Das Ergebnis allemal die Summe, sei sie durch Minderung oder Mehrung, Reduktion oder Addition oder ein Kompositum zustande gekommen. Das Sichtbare gibt das, was in ihm west, ganz, und es ist das aus dem Urteil und Beschluss dessen, der es schafft, definitiv Gegebene, aus welchem es wirkt. Die Formung in Ton, dem gekneteten, geschmeidig gemachten, der Hand sich anpassenden, ist auch heute eine archaische. Den ersten Versuchen des Menschen, sich ein Gefäß herzurichten und sich ein Idol zu schaffen und ihnen durch Härtung Dauer zu geben, sind die heutigen Befasstheiten mit dieser Materie nicht so fern: Die ersten überkommenen Zeugnisse waren die frühesten Vollkommenheiten, auch darin, dass sie die Kraft innehatten, sich zu erhalten, und übers Vollkommene hinaus führt der Weg nicht linear weiter, sondern fruchtbar ins allseits sich Breitende. Und auch das ist geblieben, das Gefäß und Gestalt, das Behältnis und der Leib als Körper, einander entsprechen. Alles Gerät ist die Verlängerung der Organe, denen es dienen soll, in Analogie ist es anthropomorph, und der Mensch, der es ins Auge fasst, erkennt in ihm sich selbst. Blanka Wilchfort steht in diesem Erbe und ist sich dessen bewußt. Was auf der überkommenen Erfahrung basiert erschöpft sich nicht, es bedarf keiner Sprünge ins Artfremde, und derart persönlich angegangen versagt es sich dem Seriellen. t Erfahrung basiert, erschöpft sich nicht, es bedarf keiner Sprünge ins Artfremde, und derart Etwas erneut machen ist etwas Neues machen, wenn denn jede der Unternehmungen ein Erlebnis ist. Was so einzeln und so von Hand geformt wird, bleibt ein Abenteuer, bis es fertig ist, und der Blick in den Ofen, nachdem der Brand vollzogen ist, mag spannend bleiben jedes Mal. Ungewissheit und Wagnis, mögen sie aller Kunst immanent sein, hier sind sie auch in der Prozedur gegenwärtig. Die Künstlerin formt den Körper als gefäßhafte Hohlform. Er hat Haut, ist empfindsam, scheint atmend und durchpulst. Er hat eine Farbe, die von Offenheit in Dichte, von Helligkeit ins Dunkle überleitet, wie die dessen, was lebt, changiert. Jedes der Gebilde ist ein organhaftes, dem Wachstum sich dankendes, in seiner Geschlossenheit lebensfähiges. Köpfe nicht Torsi, sondern je ein Ganzes selbst. Sind Geräte ins Funktionale übersetzte Körperteile, so scheint es, als ob im figuralen Werk von Blanka Wilchfort dieser Schritt rückgängig gemacht würde aus dienstbarer Abstraktion in ein zweckfrei naturhaftes Eigenleben. Was dazu beiträgt, ist die hohe plastische Qualität, die Stimmigkeit auch in der Eigenart, die Spannung des Volumens wie die Sensibilität der Oberflächenstruktur und das Gespür fürs Staturarische, das den Dingen, unabhängig von den eher verhaltenen äußeren Maßen, Größe verleiht. Diese verdankt sich aber auch dem Ernst, dem sie anheimgegeben sind. Nicht arkadisch, nicht unbeschwert, erscheinen sie vielmehr rätsel- und schicksalhaft über dem Lot archetypischer Tiefen und darin wie alles Symbolische, ambivalent. Ist die Bandage Fesselung, ist sie Schutz? Zahlreich sind die Köpfe; jeder einzeln ein Träger dessen, was ihm widerfährt; und wenn die Künstlerin in ihnen das Phallische gegeben sieht so ist hier die Verkörperung der Lebenskraft vielerlei Gefährdung ausgesetzt: vernagelt und entwurzelt, verwundet und verbunden, beladen, eingeengt und befreit, verschlossen und sich auffächernd dem Gesetz unterworfen und dem Drang des Herzens gemäß die Bande sprengend. Aber ebenso mag, aus derselben Grundform erwachsend, das Vaginale ins Spiel kommen, das Antlitz dem Schoß sich anverwandeln, der sich öffnet und entfaltet. Das Körperliche in seinen Verfangenheiten. Manchmal die pralle Form überlappt, öfter mit Bändern umwickelt, manchmal eine Fuge mit einem knittrigen Tuch ausgefüllt. Als einzige Fremdbestandteile sind hier und da Nägel und Drähte im Spiel, von Spuren ihres Vorlebens gezeichnet. Und unterschiedliche Färbung mag den Ausdruck klären, indem sie Teile des Zusammengefügten vergegenständlicht. Wo Öffnungen und Durchbrüche die Dunkelheit aus dem Inneren herauslassen, geben sie der Prallheit des Körperlichen nur eine zusätzliche Dimension. Die Bildwerke stehen oder liegen. Manchmal scheint ihnen der Hals den natürlichen Sockel zu geben, manchmal ersteht ihnen eine Stütze, manchmal entwachsen sie einem kubischen Block. Wenn sie aber liegen, dann nicht maskenhaft flach sondern aufruhend auf der ungewissen Balance des Hinterhaupts. Eine auch in Passivität kraftvolle Präsenz, Zeugnisse der Kraft, die der Künstlerin in Sensibilität und Nachdenklichkeit eignet. Was da ist, gibt Zeugnis und Beispiel. |
Text von Dr. J. Wurst, Kunsthistoriker zur Skulptur “Verbindendes Element” von B. Wilchfort
Open Mind
Vier in den Nacken gelegte Köpfe, in ihrem Äußeren auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden, sind einander über Kreuz zugewandt. Die Schädeldecken sind aufgebrochen, Drähte quellen aus den unterschiedlich geformten Öffnungen hervor und vereinen sich wolkenartig und unentwirrbar über den Häuptern. Erst bei näherem Hinsehen sind im verschlungenen Gewirr kleine, aus den Drähten geformte Symbole zu entdecken, Mondsichel (Halbmond), lateinisches Kreuz, Davidstern, ein buddhistischer Knoten. Nur nah an den Öffnungen der Schädel, die in ihren Formen den hervorquellenden Symbolen entsprechen, noch komplett, lösen sich jene Symbole immer mehr auf, bis sie schließlich ganz verschwinden.
Dem Betrachter verschließt sich das Kunstwerk. Die Köpfe bilden sowohl in ihrem abgewandten „auf-sich-bezogen-sein“ als auch in den vielfach eingegangenen, kaum mehr aufzulösenden Verbindungen eine fast hermetisch-abweisende Einheit. Sie erzählen keine Geschichte. Dies erweckt naturgemäß Neugier, doch ein forschend-neugieriger Blick ins Innere der Schädel – die leer sind – hat etwas unangenehmes, ja voyeuristisches. Der Betrachter wird eben nicht eingeladen, den Ursprung zu schauen, sondern das Ergebnis; er bleibt in der Rolle des Beobachters, der auf sein Wissen, seine eigenen Assoziationen angewiesen ist, das Werk, das Geheimnisvolle, das in ihm steckt, zu entdecken, zu entschlüsseln und zu verstehen.
Die Ununterscheidbarkeit der sich dem Abstrakten nähernden Köpfe, ihre Identitätslosigkeit deutet auf eine prinzipielle Gleichheit hin. Ethnische und soziale Herkunft, Geschlecht, Alter, Stand – all das spielt hier keine Rolle. Lediglich die unterschiedliche religiöse Zugehörigkeit wird zum Thema, diese aber als gedankliches Konstrukt gezeigt, das keinen Einfluss auf das Mensch-Sein an sich hat. Der Mensch, der sich geöffnet hat, was Blanka Wilchfort im wahrsten Sinne des Wortes zeigt, kann die nur gedanklichen Begrenzungen entlassen. Je weiter die Gedankenstränge sich entfernen, umso unwichtiger wird die jeweilige Religion, umso wichtiger werden die Verbindungen untereinander. Die Symbole, die mit ihren Ecken und Kanten wie Schranken oder Haltepunkte wirken, lösen sich auf, Energie fließt ungehindert, jeder ist mit jedem verflochten, hat Teil an der Einheit, die am Anfang war. So entsteht über den Köpfen etwas Gemeinsames, etwas Neues, worauf die Symbole, obgleich sie natürlich vielfache Bedeutungen haben, verweisen: jene sich in vielen Gesichtern zeigende spirituelle Kraft.
Die Skulptur lässt sich jedoch auch „von oben“ lesen. Gleichsam wie aus einer Wolke ergießt sich diese eine beseelende Kraft, sich in den unterschiedlichsten Facetten auffächernd, in die zwar im Prinzip geformten (aus Ton, also aus Erde!), aber noch nicht „er-füllten“, noch identitätslosen Körper und schenkt ihnen Leben. Deutlich wird, dass dieser Fluss keine Einbahnstraße ist, sondern ein wechselseitiges Schöpfungsgeschehen. Denn ein wie immer geartetes Göttliches kann nicht ohne Mensch gedacht werden, und der Mensch nicht ohne dieses Eine.
Einführender Vortrag von Prof.Dr.Peter Assmann, |
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst möchte ich mich bei den Ausstellungsverantwortlichen sehr herzlich für die Einladung, hier vor Ihnen zu sprechen bedanken. Ich bin dieser Einladung sehr gerne gefolgt, weil ich in den skulpturalen Werken von Blanka Wilchfort eine höchst konzentrierte und zugleich breit anregende künstlerische Position formuliert sehe. Materialien und auch die Themenstellungen der Werke der Künstlerin sind hier allerdings zunächst nicht unbedingt das neue anregende Element. Die Anwendung von Keramik und partiell auch von Metall, beziehungsweise die konzentrierte Auseinendersetzung mit dem menschlichen Körper, speziell mit dem obersten Körperteil, dem Kopf, verweisen vielmehr auf Jahrtausende alte Kulturphänomene des Menschen, auf eine bewusst gesuchte Verbindung auch zu archaischen Wirkungsformen und Wirkungskräften. Der Zugang der Künstlerin zu dieser Archaik ist jedoch kein replizierender, sondern ein absolut aktualisierter, allerdings auf der Basis eines immensen Respektes vor den zeitlich so lang andauernden Wirkungskräften einer solchen Gestaltung, die sich in ihrer zeitlichen Orientierung auf primäre Formelemente grundsätzlich ja jeder Zeitmessung entzieht und auf eine Zustandserfahrung jenseits physikalischer Einheiten und Tabellen sieht. Die Verwendung von Keramik in der bewusst zerstörten, – bitte in Anführungszeichen -,, erdnah'” formulierten Oberfläche, assoziiert sofort die Verbindung zum urzeitlichen Tongefäß, einem, letzten Endes Sammlungsbehälter, der vor allem als Nahrungsspeicher dient. Zieht man hier wieder die Verbindung zur gewählten Form des Kopfes dieser Skulpturen von Blanka Wilchfort, so öffnet sich bereits ein weites Feld von Assoziationen: der Speicher wird zur Erinnerung, der Kopf zum Behältnis eines Gedanken- und Empfindungsspeichers, der seine Erfahrungen dem Material gleichsam ,,einschreibt“, also verinnerlicht. Material und Form schaffen somit die Verbindung zur ,,Er-innerung ,, – einer Erinnerung jedoch, die absolut gefährdet erscheint und geschützt werden muss. Die Fragilität der keramischen Formen erhält in diesem Sinne bewusst gesetzte – unter Anführungszeichen bitte wiederum -,, Gegenzeichen” in den zugefügten Materialelementen, in erster Linie von den Metallplatten und Metallbändern, die, wie eine Mischung aus, zum einen, Schutzpanzer und (zum anderen) heilender, beziehungsweise stützender Bandage die keramische Kopfform partiell ummanteln. Wir sind in einem Raum, wo wir dies anhand dieser beiden Beispiele, (der Redner zeigt auf die Exponate ,,Öffnung III” und ,,Öffnung “V” neben sich) glaube ich, sehr (sehr) gut direkt nachvollziehen können. Oftmals scheint der keramische Körper gleichsam in einer Metallschale zu sitzen, die solchermaßen zur schützenden Basis aber auch zur definierenden Kraft der fragilen Keramikform wird. Es ist aber kein gewaltsames definierendes Formgeben, das hier vorgestellt wird, sondern mehr die Präsentation eines symbiotischen Kraft- und Energieaustausches, wo sich unterschiedliche Materialqualitäten im offenen, das heißt nicht auf Abgrenzung bedachten Austausch begegnen. Bei aller Deutlichkeit jener Spuren der Metallform, die den konstruierenden Gestaltungsgeist des menschlichen Verstandes nicht verleugnen, ist doch, sowohl in der formalen Ausdehnung des keramischen wie auch des metallischen Materials, die prinzipielle Orientierung an Wachstumskräften einer allumfassenden Natur erkennbar. Die Skulpturen erscheinen in direkter Verbindung mit dieser prinzipiellen Wachstumsenergie formuliert worden zu sein und vermitteln in diesem Sinne ein souveränes Umgehen mit unterschiedlichsten Gestaltwerdungsenergien. Die diesbezügliche Schöpfungskraft des Menschen ist hier immer wieder relativiert, in Hinblick auf übergeordnete Gestaltungskräfte. So wie sich Keramik und Metall zwar in ihrer jeweils autochtonen Präsenz deutlich vorstellen, so sehr sind sie aber auch in ihrer Orientierung auf gemeinsam übergeordnete Wirkungskräfte verbunden. Ähnliches gilt dann auch wiederum für den Dialog zwischen intellektuell ordnenden und emotional fließenden menschlichen Gestaltungskräften in diesen Skulpturen und den ihnen wiederum übergeordneten, die Zeitspanne eines Menschenlebens weit übersteigenden Wachstumskräften von Natur insgesamt Als ein weiteres Element, das mir sehr wichtig erscheint, das also über die genannten Aspekte hinausgeht, möchte ich auf die konsequente Betitelung der Skulpturen hinweisen. Diese sprachlichen Formulierungen vermitteln allerdings, bei all ihrer Prägnanz, nicht so sehr das illustrative Ziel der Materialform des Kunstwerks, sondern stellen mehr eine poetische Ergänzung auf einer anderen zusammenfassenden Erfahrungsebene vor. Sie stehen für den weiteren Schritt einer aktuellen kulturellen Einbindung der Körperform in die Erfahrungswelt unserer Gegenwart und unseres gegenwärtigen Denkens. Im größeren kunsthistorischen Kontext betrachtet, erscheinen Blanka Wilchforts Skulpturkörper sehr genau diese, sich immer mehr steigernde, allwachsende gegenwärtige Infragestellung des Körperlichen insgesamt zu bearbeiten. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Skulptur ja zu einer von allen Kunstbereichen sehr an den Rand gedrängten Kunstform entwickelt. Das Phänomen des Körperlichen ist von Malerei, Architektur, Performance, Aktionismus, Objektkunst, Installation und nicht zuletzt auch durch die Entwicklung der neuen Medien, in massivster Weise gleichsam – in Anführungszeichen wiederum -,, ausgehöhlt” worden. In diesem Zusammenhang muss auch auf die markanten Veränderungen der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit im Bereich der menschlichen Körperwahrnehmung insgesamt verwiesen werden: die Entwicklung der Medizin, zum Beispiel, die Organverpflanzung, mit dem veränderten Bewusstsein bezüglich Sportes und Bodybuilding, haben die in früheren Jahrhunderten so dominanten Körpergrenzen des Menschen heute völlig neu definiert. Die jüngsten Tendenzen in der Gentechnikforschung tun ihr übriges, um die Erfahrung eines Körpers von der massiven, langandauernden Präsenz seiner Form, zu einem immer kürzer werdenden Veränderbarkeits- und vor allem Machbarkeitszustand umzugestalten. Blanka Wilchforts Skulpturen reagieren hier, indem sie sehr genau die Balance zwischen einer markant bestimmten Verbindung mit archaischen Erfahrungswelten sowie den aktuell fragenden, intellektuell gleichsam lauernden Bestimmungsmechanismen des Menschen aufbauen. Diese sehr gut ausgearbeitete Balance ermöglicht ein höchst spannendes, breit gefächertes Zugehen auf diese ihre Skulpturen, die sich als Körper absolut kraftvoll gegen jede Infragestellung des Körperlichen zur Wehr setzen können. Diese umfassende Balance zwischen bestimmender Formgestaltung und Verbindung zu prozessualen Wachstumskräften markiert ein starkes und zugleich sehr sensibles ,,Position Beziehen” zeitgenössischer Skulptur. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. |
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